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Espresso, Cappuccino oder Ristretto?

Alle wissen, wie gut gebrühter Kaffee schmecken muss. Einige wissen, welche Merkmale eine Kaffeemaschine aufweisen soll. Aber nur wenige kennen die detaillierten Regeln, wie guter Kaffee gebrüht wird. Und noch weniger haben diese Regeln als Rezept schriftlich festgehalten. Dabei sollte eines hinlänglich bekannt sein: Einzig der Hersteller, der das Rezept für guten Kaffee kennt, wird seine Kaffeemaschinen erfolgreich verkaufen. Was hat das mit Requirements Engineering zu tun?

Das Erkennen der Essenz als Ursprung des Erfolgs

Nicht dokumentiertes Wissen (implizites Wissen) ist das Kernproblem in der Entwicklung software-intensiver Systeme. Irrtümlicherweise wird implizites Wissen als geeignete Ausgangslage für die Realisierung von solchen Systemen betrachtet. In Tat und Wahrheit hat aber jede beteiligte Person ein unterschiedliches, individuelles Wissen zum gleichen Thema.

Bei den meisten Realisierungsprojekten fehlt daher die wichtigste Voraussetzung: vollständige, konsistente und dokumentierte essenzielle Anforderungen, welche von Experten geprüft und abgenommen wurden (explizites Wissen). Die essenziellen Anforderungen sind diejenigen Systemeigenschaften, die unabhängig von der Realisierungsform vorhanden sein müssen. Mögliche Realisierungsformen sind Menschen als Aufgabenträger oder informationstechnische, mechanische oder elektrotechnische Systeme.

Wir betrachten die Dokumentation der Essenz als wichtigsten Teil im Requirements Engineering.

Erst ein konsequentes Requirements Engineering schafft die Grundlage für ein Produkt, welches den Vorstellungen des Auftraggebers entspricht. Diese Grundlage sorgt gleichzeitig für eine termingerechte und kostengerechte Realisierung.

Essenzielle Anforderungen sind nicht technologiebezogen

Bei der Entwicklung einer Kaffeemaschine ist es nicht ratsam, als Erstes die
Wasserpumpe oder die Heizelektronik zu realisieren. Zuerst ist das Rezept – die Essenz – für guten Kaffee zu erkennen und zu beherrschen. Daraus wiederum ergeben sich die Voraussetzungen, welche die technische Lösung erfüllen muss.

Das Gleiche gilt für alle software-intensiven Systeme. Das Requirements Engineering ist die zentrale Einstiegstätigkeit und nicht etwa das Design oder die Programmierung. Im Requirements Engineering erarbeiten wir unter anderem die realisierungsneutrale, fachliche Lösung und damit die essenziellen Anforderungen an das System.

Essenzielle Anforderungen beschreiben die fachliche Lösung

Von einer Kaffeemaschine erwarten wir, dass sie guten Kaffee brüht. Auch wenn es uns gelingt, die allgemein akzeptierten Eigenschaften eines guten Kaffees zu beschreiben, so können wir ihn noch lange nicht brühen. Damit ist diese vermeintliche Anforderung auch keine geeignete Realisierungsbasis. Wir werden nicht darum herumkommen, uns zuerst um die fachliche Lösung, das Rezept, zu kümmern. Gehen wir vorher in die Realisierung, dann wird die Klärung des Rezeptes den Entwicklern überlassen. Diese sind Experten im Software Engineering, aber kaum im Kaffee brühen.

Unklare Anforderungen führen zu Kosten- und Terminüberschreitungen

In der Entwicklung software-intensiver Systeme sind Kostenüberschreitungen und verschobene Termine leider immer noch an der Tagesordnung. Ohne die detaillierten Angaben des Rezeptes ist der technische Entwurf einer Kaffeemaschine kaum möglich. Auch können weder verbindliche Aussagen betreffend der Fabrikationszeit noch den Herstellungskosten gemacht werden.

Bei software-intensiven Systemen sollte die Phase der Programmierung lediglich 10 % - 20 % der gesamten Entwicklungskosten in Anspruch nehmen. Wenn Sie länger brauchen, ist das ein Indiz dafür, dass die Anforderungen noch unklar oder überhaupt nicht dokumentiert sind.

Essenzielle Anforderungen sind wiederverwendbar und erweiterbar

Wenn Sie das Rezept für guten Kaffee einmal dokumentiert haben, können Sie immer wieder darauf zurückgreifen. Auch für die Herstellung einer neuen Generation Kaffeemaschinen behält das Rezept seine Gültigkeit.

Aufbauend auf essenziellen Anforderungen kann jedes technische oder sozio-technische System laufend wartungsfreundlich und kostengünstig weiterentwickelt werden.